Nachdem ich endlich mal ausführlich diesen Artikel über das Verweichlichen unserer Kinder gelesen habe, sitze ich hier mit meinem schlafenden Baby auf dem Arm und stelle mir so einige Fragen.
Fragen über Fragen
Die Frage, ob man eine gute Mutter ist oder nicht stellt man sich ab und zu. Das ist glaube ich ziemlich normal. Und Gott sei Dank, beantworte ich sie an den meisten Tagen mit „ja!“. Wer setzt denn hier überhaupt den Maßstab und wer entscheidet darüber, was gut und was schlecht ist?
Es ist doch so: Viele Mütter, viele Erziehungsmethoden. Welche ist richtig, welche falsch? Jeder muss seinen Weg finden, mit sich im Reinen sein und seine Kinder auf seine Art und Weise großziehen. In einem älteren Artikel hatte ich bereits darüber geschrieben, wie unsere Erziehung abläuft und welche Vorstellungen der Chaosmann und ich haben. Das schließt natürlich mit ein, dass wir nicht alle anderen Erziehungsmethoden gut heißen. Aber wir können auch nicht die Welt verändern. Leben und leben lassen.
Früher war alles anders
Die Aussage, dass früher alles anders war mag stimmen, aber war deshalb früher wirklich alles besser?
"Wenn ich nicht Pipi machen wollte, musste ich so lange auf dem Töpfchen ausharren, bis ich es doch tat. Einmal beim Mittagessen zwang mich eine Erzieherin, ein Büschel Petersilie zu essen, obwohl ich das eklig fand. Mit dem Ergebnis, dass sie später fluchend ein anderes Kind saubermachen musste, das ich vollgekotzt hatte. Die Pädagogik der 80er-Jahre klingt rückblickend sehr grausam. Aber ich habe keine bleibenden Schäden davongetragen. Vielleicht hat es mich sogar stärker gemacht."
Es ist sicherlich leicht zu behaupten, dass man keine bleibenden Schäden von der damaligen Erziehung getragen hat, wenn man nicht weiß, wie eine andere Art der Erziehung sich angefühlt und ausgewirkt hätte. Aber was zum Teufel veranlasst Erzieher, ein Kind ein Büschel Petersilie essen zu lassen und warum um Himmels Willen behauptet die Autorin, es habe sie stärker gemacht?
Eltern sind Beschützer
Die Autorin behauptet außerdem, dass Eltern Ihre Kinder dauernd beschützen wollen und sie damit verweichlichen. Natürlich sind Eltern Beschützer, das ist in gewisser Art und Weise ja auch Ihre Aufgabe als Eltern oder nicht?
"Heute fällt mir auf, dass Kinder immer empfindlicher werden. Und das ist eure Schuld, liebe Eltern. Ihr erzieht sie zu verweichlichten Menschen - weil ihr sie vor allem und jedem beschützen wollt."
Sicherlich kann sie dabei nicht alle Eltern über einen Kamm scheren. Es mag stimmen, dass viele Eltern Angst um Ihre Kinder haben und die Kinder durch die Angst ein wenig eingeängt, ja sogar gehemmt werden können. Meines Erachtens nach betrifft das aber die deutliche Minderheit. Die meisten Eltern bieten Raum für Freiheiten und lassen Kinder eigene Erfahrungen sammeln, die wichtig sind für die persönliche Entwicklung.
Wir in der Chaosfamilie versuchen einen guten Mittelweg zu finden. Unsere Kinder müssen eigene Erfahrungen machen, dabei begleiten wir sie und natürlich möchten wir sie auch beschützen. Uns im Chaoshause zum Beispiel ist das Trösten zum Beispiel total wichtig. Und wir sehen darin keine Verweichlichung.
„Indianer kennt kein Schmerz“
Den Satz „Ein Indianer kennt kein Schmerz“ habe ich als Kind wirklich oft gehört. Ich mochte ihn nicht besonders und ich erinnere mich, dass es mir als Kind auch kein gutes Gefühl gab. Schließlich habe ich Schmerz empfunden. Warum entschied jemand anders darüber, ob ich mir weh getan hatte oder nicht? Vielleicht mag ich den Satz deshalb heute bei meinen Kindern nicht.
Wenn sich unser Kind verletzt und sei die Wunde noch so klein oder vielleicht sogar nicht sichtbar, wird unser Kind getröstet, wenn sie dies einfordert. Unser Kind wird dadurch nicht verweichlichen. Die Autorin selbst musste in Angst groß werden, dass sie beim Reiten vom Pferd fällt, weil der Reitlehrer keine Rücksicht auf Ihre Bedürfnisse und Gefühle nahm. Ich frage mich, was ein Kind dazu veranlasst unter Druck und Angst ein Hobby auszuüben, das eigentlich Spaß machen soll. Was hat ihr hierbei den Spaß vermittelt, wenn sie beschreibt ständig Angst gehabt zu haben? Allerdings verstehe ich tatsächlich die Lektion, die sie lernte:
"Die Zähne zusammenbeißen, meine Angst überwinden, sattelfest werden - das waren die Dinge, die ich dort lernte. Und ich bin dankbar dafür. Nach jedem Sturz stieg ich sofort wieder auf. Das war die wichtigste Lektion, die der Reitlehrer uns beibrachte. Für den Reitplatz und für das Leben."
Zu wissen, dass man Lernen, Kämpfen und nicht immer gleich aufgeben muss ist eine wertvolle Erfahrung. Dennoch lässt sich diese sicherlich auch ohne derartige Ängste und Überwindungen machen.
Hinfallen und Aufstehen
Wir verweichlichen unsere Kinder nicht, weil wir Ihnen die Schulranzen tragen. Die Schulranzen sind heute einfach viel zu schwer für die kleinen Kinderrücken. Und wenn wir die Möglichkeit haben, den Kindern diese Last abzunehmen, dann finde ich das sogar ziemlich gut. Ich als Kind hätte mich zumindest über dieses Angebot sehr gefreut. Dadurch werden unsere Kinder nicht schwach.
"Wenn man mit Lehrern spricht, erzählen sie, dass immer mehr Eltern ihre Kinder von der Schule abholen. Das erste, was sie dann tun: Ihnen den Schulranzen und das Instrument abnehmen. Früher packten Kinder ihre Sachen selbst zusammen und fuhren mit dem Rad nach Hause. Aber das findet ihr viel zu gefährlich, liebe Eltern."
Meine Kinder lernen sehr wohl, was es heißt hinzufallen. Und auch, was es bedeutet, wieder aufzustehen. Aber ich werde sie dabei begleiten. Ich werde nicht fordernd daneben stehen und erwarten, dass sie ohne Tränen zu vergießen wieder aufstehen und keinen Schmerz zeigen, nachdem sie mit dem Rad gestürzt sind. Stattdessen werde ich Ihnen meine Hand reichen, sie trösten und Hilfe anbieten. Und wer auch immer behauptet, dass ich meine Kinder dadurch verweichliche, der soll diese Meinung haben. Ich jedoch denke, dass ich Ihnen damit den nötigen Rückhalt einer Mutter und Familie gebe. Eine Basis schaffe, die sie brauchen. Für jetzt und für ihr weiteres Leben.
Wir werden keine dieser Eltern sein, die ihr Kind anschreien, weil es zum zehnten Mal hingefallen ist und eine weitere Hose kaputt gemacht hat. Ich werde sie wieder und wieder in den Arm nehmen und trösten. Ich werde sie nicht weinend zurück lassen, damit sie stärker wird. Denn durch gerade solches Verhalten tragen wir dazu bei, dass unsere Kinder sich nicht verstanden und aufgehoben fühlen. Doch das wollen wir unseren Kindern doch vermitteln.
Kinder erleben Wirklichkeit
"Doch was werden sie tun, wenn sie in der Wirklichkeit angekommen sind? Das Leben ist manchmal hart und sie werden sich durchsetzen müssen. Die Welt hält nicht an, damit eure Kinder aufholen können."
Kinder kommen früh genug in der Wirklichkeit an. Denn auch Kinder untereinander können grausam sein. Durch Worte und Taten. Sie schließen sich aus und sagen unschöne Dinge. Das ist die Realität mit der unsere Kinder schon viel zu früh konfrontiert werden. Dass das Leben eben nicht immer „Eitel Sonnenschein“ ist. Machtkämpfe, Mobbing und Gruppenzwang. Ich werde die Mutter sein, die mit Ihren Kindern spricht über genau diese Realitäten. Ich werde sie auffangen in Ihrer Trauer und Verzweiflung. Damit sie darin nicht alleine sind und darin nicht untergehen. Ich werde Ihnen versuchen zu erklären, wie sie reagieren können und sie hoffentlich auf einen guten Weg schicken. Nur, weil meine Kinder nicht vom Pferd fallen sollen, um gleich danach wieder aufsteigen zu müssen, werden sie nicht schwach und verweichlicht.
Wir leben heute
Anstelle zu behaupten, dass die Kinder in der heutigen Zeit verweichlichen, finde ich es im Gegenteil schön, dass sich Dinge geändert haben. Dass man nicht mehr die Härte an Erziehung an den Tag legt, wie es mal der Fall war und, dass man Kinder viel ernster nimmt. Ja, sogar mit entscheiden lässt und in den Alltag mit einbindet.
Kinder sollen Kind sein und Dinge lernen, in dem man Ihnen Möglichkeiten dazu bietet. Natürlich sollen sie nicht auf Schritt und Tritt verfolgt werden. Damit nimmt man Ihnen tatsächlich ein Stück Ihrer eigenen Entwicklung ab und schränkt sie ein. Sie müssen Selbstständigkeit erfahren. Aber jedes Kind auf seine Weise und in eigenem Tempo.
Warum meine Kinder nicht verweichlichen
Ich denke nicht, dass meine Kinder verweichlichen weil ich sie ernst nehme und Ihnen zuhöre. Weil ich sie kuschel und für sie da bin. Im Gegenteil: Meinen Kindern werden Werte vermittelt, die wichtig sind. Viel wichtiger als Materielles.
Meine Kinder sollen wissen, dass ihre Familie der Hafen ist, wo sie immer zu Hause sind, immer ankommen können und immer sie selbst sein können. Wo ihnen jemand zuhört, eine Schulter bietet zum Weinen und traurig sein aber auch zum gemeinsamen Lachen und glücklich sein.
Sie werden sich nur zu einem guten „Selbst“ entwickeln, wenn wir sie auf den richtigen Wegen begleiten und unterstützen und das tue ich Tag für Tag. Ich gebe Ihnen Verantwortung, zeige Ihnen, dass sie wichtig sind und, dass wir sie ernst nehmen.
Wie seht ihr das denn?
9 comments
[…] sie sich weh tun. Ich möchte, dass sie wissen, dass ich da bin. Für mich hat das eben nichts mit Verweichlichung zu tun. In einer Freundschaft versetzt es mir jedes Mal einen Stoß, wenn nicht getröstet wird. […]
Ich hatte den Original-Artikel gelesen und musste erstmal kopfschütteln… Sie hat keinen Schaden davongetragen? Ich würde sagen, der Artikel zeigt genau das Gegenteil… Wenn ich sie so lese, glaube ich sehr wohl, dass irgendwas nicht stimmt…
Ob wir unsere Kinder verweichlichen? Vielleicht…aber besser als verrohen lassen, oder? …
Ach es schwer, den einen Weg zu finden und zu gehen.
Ich denke auch nicht das wir unsere Kinder verweichlichen.
Eher ganz im Gegenteil. Wir stärken sie. Durch uns kriegen sie alles mit auf den Weg, was sie benötigen, um später einen sicheren und hoffentlich glücklichen Weg zu gehen. Eine glückliche Kindheit ist die Basis für alles. Schauen wir uns doch Menschen an, die in ihrer Kindheit nicht all zu viel schönes erleben durften? Sind sie stark? Ja, vielleicht auf den ersten Blick, aber wie schaut es im Innern aus?
Ich denke, wir können für unsere Kinder nur eins wirklich richtig machen und das ist für sie da zu sein und den für uns besten Weg mit ihnen gemeinsam zu gehen. Und da mit ganz viel Liebe, Anerkennung und Selbstbestimmung.
Danke für den Kommentar Alina. Das hast Du schön geschrieben :-)
Unsere Kinder verweichlichen nicht, dazu haben sie in der heutigen Welt gar keinen Raum. Die Welt ist härter und deswegen müssen wir ihnen eine sichere Basis schaffen. Sowohl in ihnen, als auch in ihrem Zuhause. Wir verweichlichen sie nicht, wir stärken sie, in dem wie sie ernst nehmen und schaffen einen Menschen, der weiß was wichtig ist und der weiß, dass er wichtig ist!
Macht Dir keine Gedanken – unsere Kinder sind toll und sie werden toll und das liegt auch daran, dass wir sie ernst nehmen!
Drück Dich
JesS
Ich denke, dass Du einen guten Weg wählst. Ich würde nicht verweichlichten wählen, sondern Helikopter-Eltern, die sehr eng sind, wenig Raum lassen und auch das finde ich schade. Die Kinder können dann nicht mit 10 Jahren am helllichten Tag Bus fahren, da sie immer gebracht werden. Ich sehe meine Aufgabe darin da zu seinvsein UND zu unterstützen und zwar individuell. Ich habe 2 Kinder und beide sind sehr unterschiedlich. Der Grösse bräuchte mehr Bestätigung, während unser Tochter eher gebremst werden muss. Zwingen zum Esssen kann nicht sein. Gibt es bei mir nicht. Die Kinder dürften schon früh entscheiden, was sie nehmen wollen und wir haben gebeten, dass sie probieren und und Vertrauen, aber es war kein Zwang da. Ich habe beide Kinder in den Mengen eingebremst, die sie sich auf den Teller legten. Wegwerfen muss nicht sein, dürfen sich immer nachnehmen. Ich mag auch manches nicht und lege es an den Rand. Das macht heute eine Freude mit fast 13 und 8 Jahre alten Kinder Essen zu gehen und das seit Jahren. Es gibt Regeln und zwischendurch nach vielen Erklärungen auch mal ein Machtwort, aber ich stelle meine Kinder doch nicht in die Kälte, um die abzuhärten. Ich bin Mutter und kein Drill Instructor. Ja. Jeden muss seinen Weg finden als Familie. Was ich jedoch nicht muss, mich vor Fremden zu rechtfertigen. Hat die Autorin Kinder? Am schlimmsten finde ich, dass mit dem Essen zwingen. Nur weil ich grösser bin als das Kind, darf ich zwingen. Na dann wünsche ich der Autorin mal von jemanden zum Essen gezwungen zu werden, der aus einer anderen Kultur stammt und Dinge isst, vor denen es und ekelt.
Ich finde das auch echt ein schwieriges Thema und habe ganz aktuell noch einen neuen Beitrag gebracht. Eltern haben oft Ihre Gründe, zu sein wie sie sind und oft resultiert es aus eigenen Erfahrungen in der Kindheit. Den Kindern hilft sicher ein guter Mittelweg, mit Grenzen und Hilfestellungen aber keiner dauerhaften Kontrolle. Ob die Autorin Kinder hat weiss ich leider nicht. Ich hoffe nicht. Danke für Deinen ausführlichen Kommentar.
I agree, I think there is a middle way and that that this way looks different for each unique family.
The quotes makes the person sound bitter, like they need to justify their own youth.
Personally I had a great start in life and a lovely childhood, but I still have strong memories of specific situations where older people including my parents got very angry at me, but I felt misunderstood. Most of those situations arose due to my insecurity and I do suspect some of my remaining doubts, occassional lack of self confidence comes from this. Being told off for something completely misinterpreted, instead of receiving support.
The world is hard enough. And it is necessary to have safe harbour at home.
Hallo Viktoria. Ich freue mich, dass Du den Mut findest zu kommentieren 👍🏻😘 Ich hoffe eine deutsche Antwort ist okay. Jeder hat eine Geschichte und jeder sollte für sich und seine Kinder aus negativen Erfahrungen lernen. Es scheint als tust du das und das finde ich schön. Ganz liebe Grüße. Jule