Zeilen an mein Chaosmädchen
Mein liebes Chaosmädchen. Seit einigen Wochen erkenne ich Dich oft nicht wieder. Du bist so unausgeglichen. So sensibel.
Oft bin ich hilflos. Aber ich bin für Dich da. Und doch befinde ich mich manchmal am Rande der Verzweiflung, weil ich einfach nicht weiter weiß. In Deiner Wut und Deinem Ehrgeiz schaffe ich es meist, Dich zu unterstützen. Ich spreche Dir Mut zu und sage Dir, wie gut Du bist. So, wie Du bist.
Was ist los mit Dir?
Und doch ist etwas anders. Du bist anhänglich. Schmusebedürftig. Ich gebe Dir die Nähe, die Du brauchst. Du möchtest bei mir schlafen und kuscheln. Das ist in diesem Maße ungewöhnlich. Neu für mich. Aber ich komme Deinem Wunsch nach. Und genieße Deine Nähe.
Neben all dieser Schmuserei bist Du aber auch furchtbar oft wütend. Du wirst laut. Du weinst schnell. Du bist so angreifbar. So unzufrieden. So wechselhaft. So anders. Und Du treibst mich damit so wahnsinnig auf die Palme. Natürlich ist mir bewusst, dass Kinder nicht dafür gemacht sind, immer auf Ihre Eltern zu hören oder das zu tun, was man von Ihnen erwartet. Schließlich seid ihr Kinder. Du auch. Vermutlich wurden wir von Dir bisher einfach nur verwöhnt. Dein vorbildliches und vorsichtiges Verhalten. Dein Vertrauen in die Grenzen Deiner Eltern. Umso mehr irritiert mich Deine aktuelle, aufbrausende, ja oft schon aufmüpfige und freche Art uns Eltern gegenüber.
Was ist nur los?
Ich kann mir gut vorstellen, dass es viel mit Deiner kleinen Schwester zu tun hat. Der Schwester, die Du abgöttisch liebst und nicht mehr missen möchtest. Aber eben auch die Schwester, die unsere Familie verändert hat. Deine Rolle in der Familie verändert hat. Und damit auch Dich. Natürlich ist das nicht leicht für Dich.
Bedürfnisse kommunizieren
Ich freue mich, wenn Du Deine Bedürfnisse verbalisieren kannst. Denn dann kann ich Dir geben, was Du brauchst. Du möchtest eine Milchflasche haben wie Deine Schwester und auch bei mir kuscheln? Nichts lieber als das!
An manchen Tagen möchtest du nicht in die Kita. Die Kita, die du so liebst. Wo alle deine Freunde sind, auf die du dich sonst so freust. Ich respektiere das und komme auch diesem Wunsch nach. Ich nehme Dich ernst und bin froh, diesen Vorteil aus der Elternzeit ziehen zu können.
Aus vielerlei Hinsicht kann ich Dich auch wirklich verstehen. Zumindest denke ich das. Du möchtest bei Mama sein. Und bei der Miniqueen. Das sagst Du mir. So kurz nach dem Urlaub ist es sicherlich auch für Dich seltsam, wieder in die Kita zu gehen. Welcher Erwachsene möchte denn nach dem Urlaub gerne zur Arbeit?
Du schläfst schlecht und weinst oft. Nach Mama. Und Papa.
Kuscheleinheiten. Nähe. Wärme. Mama. Das alles sollst Du haben. So viel ich Dir geben kann.
Dennoch frage ich mich: Ist das eine Phase? Oder ist es eine bleibende Veränderung Deines Wesens?
Mein liebes Chaosmädchen. Ich liebe Dich. So oder so. Aus tiefsten Herzen. So sehr wie eine Mutter ihr eigenes Kind nur lieben kann. Vielleicht ein bisschen mehr. Ich wünsche Dir, dass Du Deinen Weg machst. Deinen Weg aus dieser Phase. Ich wünsche, dass Du lernst auszusprechen, was Du möchtest, um mir zu zeigen, was Du brauchst. Ich wünsche uns, dass Du Dir nicht selbst im Wege stehst. dass Du lernst, mit Deinem Frust umzugehen und Dir Hilfe zu holen, wenn Du sie brauchst. Wir sind für Dich da. Immer.
Und wünsche ich ein wenig mehr Nerven, mit Deinen Launen umzugehen. Die Geduld, Deinen Ehrgeiz zu unterstützen und die Kraft, Dich ein wenig auf dem rechten Weg zu halten. So lange es geht.
Vielleicht habt ihr auch derartige Veränderungen oder Phasen durchgemacht bei Euren Kindern in Ihrem Alter? Das Chaosmädchen wird Ende September 4.
Ich würde mich riesig über Eure Kommentare freuen!
Eure Chaos & Queen
10 comments
Hallo Jule,
deine Worte für die derzeitige Veränderung des Chaosmädchens sind sehr schön und ich kann mich gut wiederfinden. Unser Großer ist jetzt 3 Jahre + 4 Monate und die Kleine ist 11 Monate. Fast gleichzeitig mit seinem Kita Start im letzten Sommer ist die kleine Schwester geboren. Ich habe mir vorher große Sorgen gemacht, ob er sich „abgeschoben“ fühlen wird, dass er jetzt zur Kita „muss“ weil die Kleine da ist. Aber er hat das alles gut gemeistert. War ja auch so viel Spannendes und Neues. Doch jetzt – nach fast einem Jahr – fängt er auch an sich zu verändern. Ist öfter launisch, wütend, weiß nicht wohin mit sich, will nicht mehr alleine einschlafen…
Ich habe dabei die gleichen Gedanken wie du: Ist das nur eine Phase? Das Grenzenaustesten, was in dem Alter völlig normal ist? Oder sucht er immer noch seine neue Rolle in unserer Familie – als nicht mehr Einzelkind ? Er merkt ja auch, wenn er seine kleine Schwester ärgert, hat er meine Aufmerksamkeit, wenn auch Negativ Aufmerksamkeit, aber er hat sie. Das gefällt mir nicht, aber die Nerven und die Zeit mit zwei Kindern ist weniger geworden :(
Ich hoffe, ihm so viel Zeit und Nähe geben zu können, wie er jetzt braucht. Oft habe ich einem von Beiden gegenüber ein schlechtes Gewissen. Was ich glaube ich nicht brauche, sich aber nie ganz abstellen lässt…
Alles Gute Euch!
Liebe Barbara, vielen Dank für deinen ausgiebigen Kommentar. Ich verstehe Dich total. Sowohl, dass Du zweifelst, was da gerade los ist. Als auch die Zweifel, die Du an Dir und deinem Handeln hast. Ich versuche mich immer wieder in sie hineinzuversetzen und mit ihr zu sprechen. Das klappt nicht immer. Aber manchmal. Heute Abend wollte sie nicht in Ihrem Bett schlafen (wir haben eigentlich kein Familienbett). Ich habe sie gefragt ob sie Mama momentan ganz viel braucht und das hat sie bejaht. weiter erklären kann sie das nicht. Aber ihr Bedürfnis äußern. Das hilft mir. Das schlechte Gewissen hat man immer. Ich muss sie ja auch vertrösten, wenn ich mich um die Kleine kümmere und sie muss warten. Ich gebe wirklich alles, aber natürlich hat man immer das Gefühl es besser machenn zu können. Ich wünsche Dir wenig schlechtes Gewissen und so oft wie möglich das Gefühl, dass Du Deinen Mutterjob gut machst. :-*
Liebe Nicole. Ich kenne es so ähnlich. Meine 2 Jungs sind jetzt 4 und 6. Als mein Grosser ca 4 Jahre alt war wollte er mich nie allein gehen lassen. Hat einen riesen Aufstand gemacht mit Geschrei und vielen Tränen. Auch das Abgeben in der Spielgruppe war eine Herausforderung – besonders auch für mich als Mutter … „es hatte doch sonst so toll funktioniert“. … Bei uns war es eine Phase auf dem noch langen Weg zum Gross werden. Ich wünsche dir alles Liebe und Gute!
Liebe Inga, danke für Deinen Kommentar. Schön, dass Du Nicole mit Deiner Erfahrung und Deinen Wünschen Mut machst. Das können Mamas öfter gebrauchen. Jule
Liebe Jule, schöne Zeilen an Dein Chaosmädchen. Ich denke die kleine steht vor der nächsten großen Entwicklung. Da geht es erst 1 Schritt zurück um 2 nach vorne zu machen.
Eins kann ich Dir aus Erfahrung sagen, es wird nicht leichter. Meine Maus ist jetzt 9 und ich kämpfe täglich mit ihr und mir. Da ist Unsicherheit, Frust, Entwicklung etc. , aber wir müssen immer der Fels in der Brandung bleiben!
Liebe Sandra. Danke für Deinen Kommentar. Ich denke , dass im Grunde auch das ganze Verhalten zur aktuellen Situation passt. Es ist nichts, was man nicht erklären kann. Sie wechselt ja auch bald die Kindergartengruppe und hat glaub ich einfach viel im Kopf. Ich verstehe jetzt erst, wie das damals für meine Mama so war…..und ja, wir Eltern müssen da trotz all unserer Gefühle immer der wichtigste Anlaufpunkt für unsere Kinder bleiben. Eine schwere Aufgabe.
Hach, so ernst es doch ist, so sehr geht mir bei seinen Zeilen das Herz auf. Ja, die Kleinen werden groß. So wie auch meine Jungs nun schon fast 18 und fast 15 Jahre alt sind. Und ich kann dir (leider) nur sagen, es wird nicht besser, sondern anders. Und ihr alle wachst da dran. Natürlich verstehe ich aber auch deine Hilflosigkeit derzeit. Bei unserem Nesthäkchen geht es mir derzeit genauso. Ich erkenne sie manchmal nicht mehr wieder. Ich habe heute manchmal das Gefühl, wo meinen Jungs war ich recht jung und irgendwie gelassener. Ich dachte, mit zunehmendem Alter wird die Gelassenheit größer. Aber irgendwie die ist genau das Gegenteil der Fall. Bei unserer Tochter von ich (mit 39+😉) deutlich weniger belastbar. Nichts desto trotz fühl dich gedrückt 😘.
Liebe Corinna. Ach, ich will ja auch gar nicht meckern. Aber ich freue mich, wenn ich Erlebtes teilen kann und ein wenig Feedback bekomme. In einigen Punkten wird man gelassener, in anderen nicht. Als ich die Miniqueen am Wochenende zum ersten abgegeben habe wäre ich kurzzeitig fast durchgedreht. Am Ende ging es dann aber gut und ohne Tränen bei Mama. Wir machen das mit Sicherheit alles nicht schlecht, aber wir prägen unsere Kinder für ihr ganzes Leben und das ist eine wahnsinnige Aufgabe. Das wird mir immer mehr bewusst und ich habe sicher Angst, später festzustellen, dass es anders hätte laufen müssen. Denn man hat ja nur eine Chance.
Liebe Jule,
Ich habe keine Antwort für dich. Es könnte die grosse Trotzphase sein, die für das Alter normal ist. Es könnte. 😃
Vielleicht ist es aber tatsächlich etwas anderes.
Ich musste mich von meinem ersten Mann trennen, da war meine Tochter 2. Sie hat sich absolut nichts anmerken lassen. Als sie 3, fast 4 war, kamen die ersten Veränderungen und sie verbalisierte auch die Trennung ihrer Eltern. Immer und immer wieder.
Jetzt wird sie im Dezember 10 und hat wirklich viel durchgemacht (Gerichtsprozesse, Gutachten,…).
Meine Tochter wirkt stark, aber auch sie ist sensibel. Ich hab Angst, dass sie sie Wut irgendwann gegen sich selbst richtet.
Ich gönne dem Chaosmädchen ihre Wut. Ich hätte mir mehr davon für uns gewünscht.
Und ich Ich wünsche euch Kraft, damit umzugehen. Schöne Woche euch…
Liebe Nicole, ich danke Dir für Deinen Kommentar und dafür, auch von Deinem Erlebten zu berichten. Ich hoffe, dass Du als Mama auch bei Deiner Tochter die nötiige Kraft hast und auch das Verständnis aufbringen kannst, was sie braucht. Das Bewusstsein, sich in die Lge der Kinder zu versetzen hilft oftmals doch schon ein großes Stück. Danke für Deine Worte!! Jule