Ich sehe Geschichten. Deine. Meine. Unsere. In diesen vier Wänden.
Ich betrete diesen Raum und sehe mich. Sehe Dich. Uns.
Wir betreten den Raum. Du neugierig, voller Entdeckungsfreude. Ich mit gespaltenen Gefühlen. So viele Stunden haben wir seither an diesem Ort verbracht. Du mehr als ich.
Behütet und beschützt. 5 Jahre lang. Was warst Du damals klein. 10 Monate warst Du alt. Konntest nicht mal laufen. Damals. Abgegeben in fremde Hände hat man dich liebevoll begleitet auf deinem Weg. Deinem Weg zu einer eigenen Persönlichkeit. In dein Leben. Und auf Deinem Weg zum Schulkind.
Ich sehe Dich
Ich betrete diese Räume, die mir einst fremd waren und sehe Dich. Mein kleines Baby. Auf dem Arm der Erzieherin. Mein Mädchen, das sich nicht trennen möchte. Manchmal hast Du geweint. Ich sehe das. Vor mir, als würde es gerade erst passieren. Ich sehe Geschichten. Deine. Meine. Unsere.
Ich sehe Deinen verbrannten Daumen als Folge der heißen Suppe, sehe Deinen alten Garderobenplatz. Der Platz, an dem ich oft mit Dir saß. Manchmal länger als mir lieb war. Weil Deine Schuhe nicht so saßen wie Du wolltest oder Du nicht nach Hause wolltest. Ich sehe Dich strahlend dort sitzen an deinen ersten Kitatagen und bockig nach anstrengenden Abenteuern.
Ich sehe Dich in deinem Körbchen schlafen. Einem Hundekorb. Dieses Privileg hattest Du, als Kleinste der Gruppe. Wir basteln Laternen, malen Bilder und lauschen dem Gitarrenspiel der Erzieherin. Wir sitzen noch eine Runde kuschelnd an der Garderobe. Manchmal tröste ich Dich und manchmal schimpfe ich auch. Wir trinken Punsch, lachen gemeinsam beim Kasperletheater, tanzen zu Karnevalsliedern oder stehen am Sankt Martins Feuer. Ich sehe Geschichten. Deine. Meine. Unsere.
Das bist Du
Dann stupst mich jemand an. Dieser Jemand bist Du. Gewachsen zu einem großen Mädchen. Du bist fast 6. Mein Schulmädchen. Wo ist das Baby von eben hin?
Aus diesem Baby wurde über die letzten Jahre immer mehr ein großes Mädchen. Du bist gewachsen und hast gelernt. Hast Freundschaften geschlossen in dieser Zeit, genau wie ich. Und Erfahrungen gemacht. Gute wie schlechte. Du bist trocken geworden, hast Deinen Schnuller abgegeben, Ausflüge gemacht und deine ersten eigenen Schritte. In deine Zukunft. Dein Leben. Gelacht, gestritten, geliebt und umarmt hast du. Du hast Kämpfe ausgetragen, Bücher gelesen und viele Kunstwerke geschaffen.
Mein Blick schweift durch die Kita. Unsere Bilder und Geschichten ziehen an mir vorbei. In jeder Ecke etwas Erlebtes mit Dir. Unmöglich alles aufzulisten.
Wir ziehen weiter. Du ziehst weiter. Und ich lasse wieder ein Stück los. Von dem Baby, das du einst warst und doch immer bleiben wirst.
Ich halte mich an all den schönen Erinnerungen und Momenten, die nie wieder kommen und doch bleiben.
Ich werde nicht mehr spontan einen deiner Kitafreunde mitnehmen. Oder mich ärgern, dass du sich spontan verabredet.
Ich erfreue mich deiner Neugier auf diesen neuen großen Schritt. Und auch in der Zukunft sehe ich Geschichten. Deine. Meine. Unsere.
Ich sage Danke für diese wundervolle Kita-Zeit. Und blicke nach vorn. Neugierig wie Du. Und doch etwas ängstlicher.
Deine Chaos Mama
1 comment
Es ist immer schmerzlich wenn die Kinder größer werden. Ich kann das total nachvollziehen. Beim angucken von älteren Fotos werde ich auch sofort melancholisch, dabei ist meine Tochter noch ziemlich klein.