Es war immer schon meine absolute Horrorvorstellung, dass eins meiner Kinder in den OP muss.
Dann ging alles ganz schnell. Ein Sturz. Unspektakulär. Von einer Schaukel. Kein tiefer Fall.
Mit dem Schrei des Chaosmädchens war klar, dass etwas Schlimmeres passiert war. Die Tonlage. Der Gesichtsausdruck. Mein Bauchgefühl. Der Weg führte ins Krankenhaus.
Ich atme ein. Ich atme aus.
Das Chaosmädchen litt. Und mein Mutterherz mit. Mein großes Kind, plötzlich wieder ganz klein.
Ich rechnete mit einem Gips. Die Untersuchungen dauerten mit Wartezeit einige Stunden. Das Chaosmädchen war müde. Geschockt. Wollte nach Hause. Schlafen. Wir mussten zum Röntgen.
Der Befund: Elle und Speiche gebrochen. Zurück in die Notaufnahme.
Wann hat ihr Kind zuletzt gegessen?
„Hä? Sie legen doch jetzt sicher einen Gips an, oder? Wofür müssen sie das wissen?“
„Nein, wir möchten sie eigentlich jetzt noch operieren.“
Ich verlor Gesichtsfarbe. „Können Sie nicht einfach einen Gips machen?“
Leider nicht. Der Winkel des Bruchs war zu groß. Das Chaosmädchen war erschöpft.
Sie konnte am gleichen Abend nicht operiert werden. Sie bekam eine Gipsschiene und wurde über Nacht nach Hause geschickt. Am nächsten Morgen sollten wir wieder kommen. Nüchtern. Zur OP. Mir war ganz schlecht. Aber ich atme ein. Und aus.
Angst um mein Kind
Nachdem ich meine Gesichtsfarbe zumindest ansatzweise wieder erlangt hatte, wischte ich mir unbemerkt ein paar Tränen aus dem Gesicht. Die Ärztin musste lächeln, das Chaosmädchen saß vor mir auf der Liege und hatte nichts mitbekommen. Mutter sein ist oft nicht so einfach.
Mein Kind in den OP! Seit jeher meine absolute Horrorvorstellung. Ich bekam Dokumente über Risiken und Nebenwirkungen. Mir wurde schlecht. Mein Kind an mich gekuschelt wurde ich über die Narkose aufgeklärt. Ich musste mich konzentrieren. Ich hatte Angst.
Als mein Kind in den OP musste
Ich funktionierte. War positiv. Ließ mir meine Nervosität nicht anmerken und verstand plötzlich, wie meine Mutter sich früher oft gegeben hatte. Stark. Für uns Kinder.
Ich bewunderte das Chaosmädchen für ihre Gelassenheit. Sie hatte zwar keine Lust auf eine OP, aber auch gleichzeitig keine Wahl. Das wusste sie. Und dabei war sie irgendwie cool. Ich fragte sie, ob sie Angst habe und sie sagte „Nein“. Ich schon. Aber das sagte ich ihr nicht.
Wir bekamen ein Zimmer auf Station. Ein merkwürdiges Gefühl. Die Schwestern waren nett und kümmerten sich rührend um uns. Es wurde alles erklärt, das Chaosmädchen wurde still. Ich funktionierte, bewahrte die Ruhe, machte Späße. Wir kuschelten uns ins Krankenbett und lasen ein Buch bis es losging. Die Schwester brachte eines dieser hässlichen Nachthemden. Ich war so froh, dass das Chaosmädchen es ohne viel Protest anzog. Sie war wirklich großartig.
Ich durfte das Chaosmädchen bis zum OP begleiten. Das ließ ich mir mehrfach bestätigen. Ich hatte Sorge, dass man nicht Wort hält.
Der Weg in den OP
Das Chaosmädchen legte sich in ihr Krankenbett. Sie hielt meine Hand. Ich ging neben dem Bett her. Sie weinte nicht, sie sagte nicht viel. Aber sie wollte, dass ich bei ihr war. Ich fühlte mich schrecklich. Dabei war es „nur“ ein gebrochener Arm.
Für mich war das alles Neuland. Ein Krankenhaus kenne ich nur von den Geburten der Mädels. Mit OP und Co. habe ich keinerlei Erfahrung. Wir fuhren bis in die Schleuse. Dort betraten 4 OP Schwestern den Raum. Alle in grün „vermummt“. Das Chaosmädchen guckte mich fragend an. Ich erklärte und blieb möglichst gelassen.
Sie sollte über die mittlere Liege auf das OP Bett klettern. Sie wollte nicht. Für mich war das logisch. Welches Kind klettert da freiwillig hin, mal ehrlich? Sowohl das Umfeld, als auch die Schwestern in ihren attraktiven Kitteln waren fremd. Die Schwestern blieben verständnisvoll.
Ich musste kurz den Raum verlassen um mich ebenfalls in grüne OP Kleidung zu hüllen. Ich ließ das Chaosmädchen nicht gerne alleine. Während dieser Minuten machten die OP Schwestern nicht das Chaosmädchen, sondern ihr Kuscheltier OP-fertig. Ich fand das sehr niedlich.
Ein Traum in grün
Grün. Ich trug grün. Ich wollte das nicht. Nun stand ich auf der Seite der OP Schwestern und sollte mein Kind dazu bewegen, auf die OP Liege zu steigen. Ich verstand, dass sie nicht wollte.
Sie weinte nicht. Sie schaute mich an. Mit diesem Blick und sagte ganz fragend „Mamaaaa“.
Gemeinsam schafften wir es. Das Chaosmädchen und ich. Weil ich da war. Und sie mir vertraute. Ich möchte mir nicht Ihre Angst vorstellen, wenn ich nicht hätte mitgehen dürfen.
Gemeinsam fuhren wir in den OP nebenan. Sie wurde verkabelt, es wurde uns alles erklärt. Während ich sie ablenkte, legte man ihr einen Zugang. Das Chaosmädchen bekam davon glücklicherweise -dank „Zauberpflaster“ nichts mit.
Das Chaosmädchen saß auf der Liege, als eine Schwester sie von hinten umarmte. Wieder sagte sie nichts. Sie schaute mich mit großen Augen an und ich verstand ihr Unbehagen. Eine Fremde umarmte sie von hinten und drückte sie an sich ohne zu fragen? Ich fragte das Chaosmädchen, ob es ihr unwohl sei. Sie bejahte. Die Frau ließ locker und passte mit etwas mehr Abstand auf, dass mein Mädchen nicht von der Liege kippte.
Dann ging es schnell. Das Chaosmädchen sollte überlegen, was sie träumen möchte. Das Narkosemittel wurde verabreicht. Ich sehe ihre Augen, wie sie sich wegdrehen. Ich möchte sie halten aber kann nicht. Weil eine fremde Frau Ihren Kopf in Ihre Hand gleiten lässt und sie hält. Mein Kind.
Die Schwester bittet mich, jetzt zu gehen.
Ich fühle mich fürchterlich. Aber ich gehe.
Die Wartezeit
Ich steige aus den grünen Klamotten und fühle mich immer schrecklicher. Ich weiß, dass die OP nicht lange dauert. Wenn wir Glück haben, gibt es keinen Schnitt sondern „nur“ ein Geraderücken der Knochen.
Ich gehe zurück auf Station. Stehe plötzlich ganz verloren in der Mitte des Ganges und muss weinen. Anspannung. Angst.
Eine Schwester fragt, ob sie helfen kann. „Nein. Ich glaube, das ist völlig normal. Mein Kind ist jetzt im OP“. Sie lächelt, nimmt mich in den Arm und zeigt mir, wo ich warten kann und Kaffee finde. Aber ich möchte keinen Kaffee. Ich möchte nur mein Kind zurück.
Ich warte.
Es geht schnell. Nach 30 Minuten sitzt der Oberarzt bei mir. Die OP ist gut verlaufen. Leider musste man einen kleinen Schnitt setzen und Titanstäbe in die Knochen setzen. „Ok“ höre ich mich sagen. Er lächelt. „Alles ist gut“. Ich weiß das.
Ich atme ein. Ich atme aus.
Man hält Wort. Ich sehe das Chaosmädchen noch bevor sie aufwacht. Begleite sie mit dem Bett zurück ins Zimmer. Ich weine ein bisschen. Erleichterung. Nach 20 Minuten wird sie wach, sagt ein paar lustige Sachen. Dann ist sie fast wieder die Alte.
Wir haben das gut gemacht.
Und freue mich, dass es eigentlich nur ein Armbruch war. Mit der Gewissheit, dass sich dieses Erlebnis in wenigen Tagen wiederholt. Denn die Stäbe müssen wieder raus.
Eure Chaos & Queen
5 comments
Liebe Jule,
dein Text hat mich sehr berührt. Ich weiß seit kurzem auch wie schwer es ist, wenn das eigene Kind in den OP muss. Bei meiner nun fast 22 (korrigiert 19) Monate alten Tochter, wurde Anfang des Monats ein Hirntumor festgestellt. Ich bin zusammen gebrochen als ich die Bestätigung von meinem Partner am Telefon bekommen habe. Ich konnte in dem Moment nicht einmal bei meinem kleinen Mädchen sein, da ich bei ihren Brüdern (34 Monate und ihr Zwilling) sein musste. Es gab insgesamt drei OPs. 3 Stunden Schlauch rein, die große OP über 6 Stunden, bei der der Tumor entfernt wurde. Da haben wir sie als Eltern auch beide zum Op begleitet, während meine Schwester sich um meine Jungs gekümmert hat, die mir in der Zeit wirklich viel geholfen hat, damit ich in die Klinik konnte. Und dann noch die dritte, zum Glück nur 15 Minuten OP, bei der der Schlauch wieder raus kam. Mein Partner war die ganze Zeit in der Klinik. Ich wünschte ich hätte selbst bleiben können, aber dann wäre zuhause ein riesen Drama gewesen. Auch weil die Station dann noch unter Quarantäne stand, wegen eines Corona Falls, sodass ich nicht mal zu den Kindern hätte heim gehen können. Und mein erster Sohn hängt sehr an mir, schläft nur bei mir, außer mal im Kinderwagen. Ich hätte es ihm nicht antun können, aber ich habe auch noch etwas ein schlechtes Gewissen meiner Tochter gegenüber, die ich zeitweise nicht mal besuchen durfte. Fürs erste ist es nun überstanden, aber wir wissen immer noch nicht genau ob der Tumor gut oder bösartig war, auch wenn es bisher vom Oberarzt hieß, eher gutartig. Nun heißt es alle zwei Wochen in die Klinik gehen und kontrollieren lassen, ob soweit alles okay ist. Also ich kann deine Gefühle und Ängste, als deine Tochter plötzlich in den OP musste, wirklich sehr gut verstehen. Manchmal geht so etwas ganz schnell und man hätte nie gedacht, dass einem bzw dem eigenen Kind, mal so etwas passieren würde.
Liebe Grüße,
Nasima
Uff. Das hast Du mitreißend beschrieben. Ihr seid tapfer. Alles Gute für die 2. OP!
Hallo Kerstin. Wir haben es irgendwie geschafft. Man wächst an seinen Aufgaben….
Oh, ich stell mir das ganz furchtbar vor und hab Pipi in den Augen. Das habt ihr beide super gemacht. Tapfere Mama, tapferes Chaosmädchen!
Danke Carolin. MAnchmal hat man keine andere Wahl und macht einfach….