Mein Chaosmädchen, eben habe ich Dich auf den Reiterhof gebracht. Einen Tag wirst Du dort verbringen. Einen ganzen Tag. Du warst ganz schön aufgeregt und hast Dich wahnsinnig gefreut. Aber es war für uns beide doch eine neue Erfahrung. Ich brachte Dich nicht wie gewohnt in die Kita, wo Du die Erzieher kennst und Deine Freunde hast. Es war eine neue, große Gruppe Mädels, alle älter als Du.
Bin ich Dir eine gute Mutter?
Da standest Du, ganz verschüchtert inmitten der Vorstellungsrunde. Doch kaum war diese gelaufen, stelltest Du fest: „Mama, es sind gar keine Eltern mehr da!“
Ich sagte: „Nein. Stimmt. Wenn ich weiß, dass es für Dich okay ist und die Gruppeneinteilung durch ist, dann fahre ich!“
„Nein, fahr jetzt!“
Mein kleines großes Mädchen.
Tatsächlich war ich dann doch noch einige Minuten da. Es war merkwürdig für mich zu sehen, wie Du auf eine große und völlig fremde Gruppe reagierst. Du wirktest auf einmal wieder viel kleiner zwischen all den Großen. Und jetzt, jetzt sitze ich zu Hause und frage mich, wo mein kleines Chaosmädchen hin ist. Denn Du hast mich mit einem Kuss verabschiedet und warst weg. Ich wünsche Dir einen ganz wundervollen und unvergesslichen Tag.
Und doch frage ich mich in den letzten Tagen oft, ob ich Dir wirklich eine gute Mutter bin. Natürlich tue ich jeden Tag mein Bestes. Und natürlich gibt es Tage, die nicht rund laufen zwischen uns. Wir sind auch manchmal beide stur, dass wir viel zu impulsiv werden, um in Ruhe Dinge zu klären.Es beschäftigt mich momentan die Frage, ob Du später mit Deinen Problemen zu mir kommen wirst. Ob ich Dir eine wichtige Anlaufstelle sein werde und wir auch später einen guten Draht zueinander haben. Ich frage mich, wo die Weichen für diese Entwicklung gestellt werden. Oder ob es manchmal auch dem Zufall geschuldet ist, dass Mutter-Tochter-Beziehungen sich anders entwickeln. Ich hoffe sehr, dass meine Gabe zu reflektieren mir dabei helfen wird, auch mit Veränderungen der Zukunft umzugehen und dir die Mutter zu sein, die Du Dir wünschst. Denn es bleibt dabei: Wir haben nur diese eine Chance.
Vertrau mir!
Ich möchte, dass Du weißt, dass Du mir vertrauen kannst. Du sollst wissen, dass ich Dir helfe wo immer ich kann. Du kannst Du sein und ich werde mir die größte Mühe geben, Dich nicht zu verändern. Ich werde versuchen, Deine Träume mit Dir zu träumen. Auch, wenn es nicht meine sind. Ich werde Dich ernst nehmen und ein guter Zuhörer sein. Du darfst mit mir über alles reden. Ich wünsche mir das, was sich jede Mutter wünscht: Eine gute Mutter- Tochter- Beziehung.Doch wie schafft man das? Legen wir gerade den Grundstein dafür oder ist er bereits gelegt? Ermutige ich Dich genug in dem was Du tust? Oder ist es manchmal zu viel?
Jetzt, ja jetzt bist Du klein. Vier zarte Jahre alt. Da ist das Bild der Mutter noch ein anderes. Klar wäre ich gerne die Mutter, von der Du später in der Schule erzählst: „Meine Mutter ist voll cool“. Welche Mutter hört schon gerne, dass die Tochter sie eher weniger cool findet oder als peinlich bezeichnet.
Aber mein Schatz, Du wirst älter werden, Du wirst vielleicht weniger mit mir kuscheln wollen und ich werde lernen müssen mit all dieser Veränderung zu leben. Statt Bücher zu mit mir zu lesen wirst Du Dein Ding machen und Dich vielleicht mit neuer Technik beschäftigen.
Ich gebe Dir Flügel
Heute war ein gutes Beispiel dafür. Denn auch da musste ich Dich gehen lassen. Ich habe Dir Flügel gegeben, obwohl es auch für mich sehr ungewohnt war. Aber ich freue mich mit Dir über diese Erfahrung, die Du machen darfst. Ich bin froh, dass Papa und ich Dir so etwas ermöglichen können. Und ich werde Dir noch oft Flügel geben, damit Du Dich entfaltest und Dich selbst findest.
Aber glaube mir, es kommen noch harte Zeiten auf uns zu. Ich wünsche mir, dass Du immer weißt, wer ich bin und ich immer weiß, wer Du bist. Ich möchte teilhaben an Deinem Leben und Dir der sichere Hafen sein, den Du brauchst. Meine Hand werde ich Dir reichen, wenn Du sie brauchst und sie loslassen, wenn es nötig ist. Ich werde alles dafür tun, Dir eine gute Mutter zu sein und doch frage ich mich oft: Bin ich Dir eine gute Mutter?
Unsere Zukunft
Wie wird unser Verhältnis sich über die Jahre verändern? Wird es fester und inniger oder werden wir uns voneinander entfernen? Denn davor habe ich Angst. Du wirst größer und wirst Deine Mama immer weniger brauchen. Zumindest anders brauchen. Du wirst älter und machst eigene Erfahrungen und Schritte in der großen weiten Welt. Du wirst Menschen treffen, die Dich prägen und beeinflussen. Menschen, die ich sicher nicht immer für Dich aussuchen würde. Ich werde Dich nicht immer beschützen können, aber ich werde da sein und Dich auffangen. Immer. Wenn Du mich brauchst.
Mein Chaosmädchen, ich liebe Dich so unendlich und habe Angst davor, eines Tages an diesem Tisch zu sitzen und traurig zu sein. Traurig, weil unser Mutter- Tochter- Verhältnis nicht so wurde, wie ich es erhofft hatte. Ich möchte keine Tränen vergießen, weil mein Mädchen Ihre schlimmsten Sorgen und Ängste nicht mit mir teilt.
Ich hoffe, wir gehen einen guten Weg!
Und jetzt freue ich mich, wenn ich Dich heute Abend glücklich abhole und in meine Arme schließe. Denn ich liebe Dich!
Deine Chaosmama
5 comments
[…] ist ohne, dass sie in die Schule geht, habe ich gemerkt als ich sie neulich mit gerade vier Jahren allein auf dem Reiterhof gelassen habe. Für einen ganzen Tag. In einer völlig fremden Gruppe. Auf Ihren eigenen Wunsch. […]
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Ach liebe Jule ❤❤❤,
wie sehr kann ich deine Sorgen und auch Ängste verstehen. Aber glaube mir, DU BIST EINE GUTE MUTTER ! Eben genauso wie du bist. Und genau das weiß deine Tochter auch. Aber ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, euer Verhältnis wird sich immer wieder verändern. Es wird auch Momente geben, da hast du das Gefühl, dein Kind hat dich fast aus seinem Leben verbannt. Und dann kommt aber wieder eine Zeit, da bist du die Wichtigste. (Und die Beste sowieso 😗.) Ich musste diese Erfahrungen auch immer wieder machen. Habe mich oft hinterfragt. Erst recht in der Zeit meiner Trennung von meinem Ex-Mann. Dem Vater meiner Jungs. Das war für mich eine harte Zeit. Voller Selbstzweifel. Aber heute kann ich sagen, ich habe es ganz gut gemeistert. Meine Kinder kommen gern zu mir und fühlen sich hier zuhause. Ich hoffe natürlich, dass bleibt immer so. Aber auch da wird die Zukunft noch viele Veränderungen für uns alle bereithalten. Ich freu mich drauf 😉. Also, stell dich nicht immer so in Frage. Du machst das toll. Du bist der Ausgangspunkt für deine Kinder. Das wissen sie. Du gibst ihnen eine sichere Basis. Eben „die Wurzeln“ 😉. Und so herzlich wie du auch diesen Brief wieder geschrieben hast, habe ich überhaupt keinen Zweifel an deinem Tun. DU BIST EINE GUTE MUTTER !!! 😙😙😙😙