Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich Euch ein wenig über unsere Art der Erziehung berichtet. Während ich mich damit auseinandersetzte kam ich wieder und wieder zu dem Begriff des Attachment Parenting. Ein total spannendes Thema. Deshalb habe ich Anna vom Blog Kinderwärts gefragt, ob sie ein wenig darüber schreiben möchte. Sie kennt sich da aus! Anna habe ich übrigens auf der Blogfamilia kennengelernt. Aber jetzt lest selbst:
Was ist eigentlich dieses „Attachment Parenting“??
Als ich mit der Chaosqueen auf der Blogfamilia gespannt Nora Imlau lauschte und ich ihr sagte, dass ich sie aus der „AP-Szene“ kennen würde, schaute sie mich mit großen fragenden Augen an: Woher?
Nun hat mich die liebe Chaosqueen gefragt, ob ich vielleicht einfach mal erklären möchte, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Klar, mach ich gerne und behebe dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Und alle eingefleischten AP´lerinnen sind bitte gnädig mit meiner kleinen Zusammenfassung, es gäbe ja noch sooo viel mehr zu sagen!
Ich bin selbst gar keine Mama und bin in die Szene so reingeraten … ;) weil ich auf der Suche nach Alternativen im Umgang mit Kindern war.
AP – steht für Attachment Parenting und bezeichnet eine sehr Bindungs- und Beziehungsorientierte Elternschaft. Beziehung statt Erziehung ist auch ein wichtiges Stichwort in diesen Kreisen. Die einzelnen Aspekte werden euch sicherlich nicht neu sein, ergeben aber zusammengefasst das sogenannte „Attachment Parenting“.
Vor allem geht es den Eltern dabei um eine sehr bedürfnisorientierte Haltung ihrem Kind gegenüber. Stillen, Tragen, Familienbett, gerne auch windelfrei und breifrei sind Begriffe, die sofort fallen, wenn man Attachment Parenting beschreibt. Es geht darum, eine sehr enge Mutter (Eltern)-Kind Bindung herzustellen und zu erhalten.
Der Begriff „Attachment Parenting“ stammt von dem amerikanischen Kinderarzt William Sears.
Der Begriff und die Haltung polarisiert sehr stark in Elternkreisen und ich möchte ich euch heute einfach erzählen, welche Aspekte ich als Pädagogin daran interessant und kind- sowie entwicklungsgerecht finde.
Stillen
Das Stillen hat ja zum Glück wieder ein besseres Image in unserer Gesellschaft, als die letzten Jahrzehnte. Bei AP hat das Stillen jedoch eine ganz besonders wichtige Rolle. Stillen dient auch zur Beruhigung und zur Herstellung von innigem Kontakt zwischen Mutter und Kind (der Vater kann diese Aufgabe in Form von engem Körperkontakt und kuscheln auch teilweise ;) übernehmen. Außerdem gibt es keine vorgegebene Stundentaktung, wann getrunken werden darf, sondern eine ganz bedürfnisorientierte Trinkroutine.
Es wird gestillt, solange sich Mutter und Kind wohl fühlen, es kann also bis ins Kleinkindalter gestillt werden.
Tragen
Es wird getragen in der AP Szene, das steht fest. ;) Ich kenne sogar einige Leute, die gar keine Kinderwagen für ihre Kinder besitzen. Im Idealfall ist das Kind die ganze Zeit „am Körper“, ob es schläft, wacht, trinkt, … Also nicht nur als Ersatz für den Kinderwagen wenn man unterwegs ist, sondern auch im alltäglichen Leben zu Hause.
Warum Tragen?
Die Nähe von Mutter und Vater tut dem Kind gut, das leuchtet ja irgendwie noch jedem ein. Der Säugling, der 9 Monate innigste Nähe und Körperkontakt erlebt hat, sucht logischerweise nun nach einem ganz ähnlichen Ort!
In der nachgeburtlichen Entwicklung ist das Tragen vor allem in der Anfangsphase aus zwei Gründen wichtig: (Einige der folgenden Gedanken sind von Jean Liedloff, die über zwei Jahre unter Steinzeit-Indianern gelebt und geforscht hat – nachzulesen hier: – sehr lesenswerter Artikel!)
Erstens: „Das Baby ist passiv beteiligt am Laufen, gehen, reden, arbeiten und spielen der Person, die es trägt. Diese einzelnen Aktivitäten, das Tempo, die Betonung der Sprache, die unterschiedlichen Anblicke, Tag und Nacht, die Temperaturunterschiede, Nässe und Trockenheit und die Geräusche des gemeinsamen Lebens bilden die Grundlage für die aktive Teilnahme des Babys am Leben, die mit sechs oder acht Monaten mit Kriechen, Krabbeln und dann Laufen beginnen wird.“ Kinder, die nur in einem Kinderbett liegen oder einem Kinderwagen, nehmen nicht auf diese aktive Weise teil. Liedloff plädiert an alle Mütter: „führe ein aktives Leben“ und beobachte nicht nur das Leben deines Kindes, davon kann es nämlich nicht so viel lernen. Sprich, lebe (d)ein aktives Leben weiter -nach Möglichkeiten- und mach das Kind nicht zu deinem Dreh- und Angelpunkt.Zweitens: „Getragen-werden gibt Babys die Möglichkeit, ihre überschüssige Energie zu entladen, bevor sie selbst dazu in der Lage sind. In den Monaten, bevor sie sich aus eigener Kraft fortbewegen können, nehmen Babys Energie durch Nahrung und Sonnenlicht auf. Deshalb braucht ein Baby den ständigen Kontakt mit dem Energiefeld einer aktiven Person, die die überschüssige Energie beider entladen kann.“ Wenn also ein Baby quengelt, kann es durchaus hilfreicher sein, es durch Bewegung zum Beispiel tanzen (Energieabbau), zu beruhigen als durch Ruhe. „Babys sind nicht so zerbrechlich, dass wir sie nur mit Samthandschuhen anfassen dürften. Tatsächlich kann ein Baby, das in dieser prägenden Phase als zerbrechlich behandelt wird, davon überzeugt werden, dass er oder sie zerbrechlich ist.“
Für alle, die nun mit „Ja, aber“ um die Ecke kommen oder selbst oft mit „Ja abers“ konfrontiert werden, hier eine tolle Seite, die mit Ammenmärchen rund ums Tragen und vielen ähnlichen Themen aufräumt.
Familienbett/ Co Sleeping
Vor allem zu Beginn können Babys nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden. Sie brauchen die Nähe des Tages auch in der Nacht. Das bedeutet, die Kinder schlafen im Bett der Eltern, in einem Babybalkon oder zumindest im Raum der Eltern.
Es gibt einige Studien die die positiven Faktoren des gemeinsamen Schlafens herausfanden.
Das Baby kann die Temperatur besser regulieren bzw. seine Wärme besser halten, dazu ist es allein noch nicht in der Lage.
Die Schlaftiefe wird intuitiv abgestimmt. Messungen haben gezeigt, dass Mütter und Babys viele Schlafstadien im gleichen Takt durchliefen. Außerdem hilft der Körper und das Atmen der Mutter zu einem stabileren Herzschlag und Atmungsrhythmus. Auch hier nochmal ein Link mit ausführlichen Infos.
Wichtige Autoren im deutschsprachigen Raum sind Herbert Renz-Polster, Nora Imlau, Nicola Schmidt, Julia Dibbern, die Bloggerin Susanne Mirau uvm.
Bindung ist das Beste, was jedem Kind passieren kann!
Eine, der ersten und wichtigsten Fähigkeiten, die ein Kind mit auf die Welt bringt, ist sich zu binden. Und Bindung und Beziehung ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Diese frühe Bindung ist die Basis für eine gute emotionale Entwicklung und für alle Beziehungen, die wir im Erwachsenenalter eingehen werden. Eine gute Beziehung ist auch die Grundlage für eine gute Kindergartenzeit und dann auch für das Lernen in der Schule, es ist im Grunde für Alles ein Schlüssel.
Das ist absolut meine Erfahrung als Pädagogin und meine Überzeugung: In Kita und Schule kann es nur gut gehen, wenn wir Beziehungen zu den Kindern führen. Darüber schreibe ich auf meinem Blog. ;) Deswegen finde ich das sogenannte Attachment Parenting auch so gut. Weil BINDUNG und der Weg dorthin großgeschrieben wird. Sicherlich gibt es auch in dieser Szene, Menschen die sehr dogmatisch unterwegs sind… Das passiert immer dort, wo Menschen etwas als sehr positiv erleben und andere davon überzeugen wollen.
Vielleicht kannst du nicht alles so unterschreiben und du willst zum Beispiel das Bett für dich allein haben… Völlig ok. Es gibt kein richtig und falsch. Es gibt viele Wege. Aber auf diesen Wegen sei stets bedürfnisorientiert unterwegs. Und zwar für dein Kind und für dich!!
Das ist ein hoher Anspruch und im Alltag (ohne Schlaf usw. – ihr könnt alle ein Lied davon singen) nicht immer leicht und manchmal sehr herausfordernd! Und vor allem in der AP-Szene gibt es häufig Mamas, die ausbrennen, weil sie alles richtig machen und schaffen wollen und weil sie wissen, wie wichtig, stillen, tragen & Co für ihr Kind ist.
An dieser Stelle ist es ein falscher Rückschluss, einfach aufzuhören mit dieser wunderbaren und bedürfnisorientierten Haltung. Eine Idee lautet:
Tut euch zusammen!
Die Gattung Mensch ist nicht dafür gemacht, sich allein um Kinder zu kümmern. Menschen sind eine kooperativ aufziehende Art! Die Kolleginnen von artgerecht sagen „Artgerecht Leben heißt für uns: Im Clan leben, in Gemeinschaft leben, miteinander leben, einander unterstützen.! (artgerecht ist ein ganz tolles Projekt!)
Zum Anschluss möchte ich euch zwei Interview-Antworten von Herbert Renz-Polster zitieren, die es ganz wunderbar auf den Punkt bringen:
Wenn Sie Familienminister in Deutschland wären – was würden Sie als Erstes tun?
Ich würde auf jeden Fall dafür sorgen, dass die sozialen Netze, die kleine Kinder mittragen, gestärkt werden. Wir brauchen nicht irgendwelche Krippen, sondern Krippen, die für unreife Menschen funktionieren. Kleine Kinder brauchen vertraute, stabile Verhältnisse. Wir bringen derzeit immer zwei Sachen gegeneinander in Stellung: die arbeitende Mutter, die ihr Kind in Fremdbetreuung gibt, und andererseits die Mutter zu Hause, die sich nur um ihre Kinder kümmert. Beides ist evolutionär gar nicht vorgesehen. Wir brauchen Betreuung in den sozialen Zusammenhängen der Frau beziehungsweise der Eltern.
Was wären die drei wichtigsten Dinge, die Sie Eltern mit auf den Weg geben würden?
Das Erste wäre: Baut euch einen Stamm auf! Wir sind Stammeswesen, wir sind eine evolutionär kooperativ aufziehende Art, wir brauchen Helfer. Sorgt für Helfer, sorgt für Freunde, spinnt euch ein Netz. Nummer zwei: Keine Angst vor Nähe! Angst vor Verwöhnen ist Gift für die Kinder. Kleine Kinder brauchen Nähe, das ist eine unverhandelbare Schutzbedingung, das gehört evolutionär absolut dazu. Nummer drei: Rein zu den anderen Kindern. Ich glaube, das Kinder nicht durch die Eltern sozial kompetent werden, sondern indem sie sich so ab dem dritten, vierten Jahr mit anderen Kindern auseinandersetzen und in gemischtaltrigen Gruppen spielen wollen, das ist viel, viel kreativer. Link des Interviews: http://www.taz.de/!5147761/
In diesem Sinne: wünsche ich euch tollen Frauen (und Männern) und vor allem auch der Chaosqueen: alles, alles Liebe!!
Anna von Kinderwärts
Liebe Anna, ich danke Dir von Herzen für diesen ausführlichen Gastbeitrag und die viele Zeit, die Du investiert hast mir und anderem dieses Thema zu veranschaulichen. Ich finde es schön, wenn jeder für sich daraus das mitnimmt, was er für sich gebrauchen kann.
Eure Chaos & Queen
3 comments
[…] wenn man reflektiert und täglich an sich arbeitet. Hier konntet Ihr zum Beispiel ein wenig über Attachment Parenting lesen, was mir früher gar kein Begriff […]
Vielen lieben Dank für diesen schönen und informativen Artikel. Bisher dachte ich wirklich AP ist so ein Antiautoritäts-Öko-Ding 😉. Nicht wirklich für mich/uns gedacht. Aber nachdem ich das hier gelesen habe, sind wir doch mitten drin in AP. Unsere Tochter (30 Monate) stillt noch immer, hat gar kein eigenes Bett (haben wir nagelneu angeschafft und nach einem knappen Jahr unbenutzt verkauft 😉) und wird je nachdem wo wir sind noch immer (gern) getragen. Und ansonsten sind wir doch sehr bedürfnisorientiert (nicht verwöhnend 😉) unterwegs. Und es fühlt sich für uns alle gut und sehr schön an. Also nochmals danke für den Bericht 😉😊
Schön, dass du was mitnehmen konntest. Das freut mich sehr…